„Vorsichtig, pass auf!“ Noch bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, hatte ich die Worte schon laut ausgesprochen. Dabei hatte ich mir vorgenommen, das nicht mehr so oft zu sagen. Gefühlt begann nämlich jeder zweite Satz von mir mit „Vorsichtig“, oder „Pass auf“.
Mein Sohn, zu dem Zeitpunkt knapp drei Jahre alt, bleibt davon völlig unbeeindruckt und versuchte weiterhin, unter größten Anstrengungen, die hohe, steile Rutsche hochzulaufen. Mit dem Baby in der Trage stehe ich unten, mehr – oder ehrlich gesagt eher weniger – bereit ihn jederzeit aufzufangen. Schwankend zwischen Stolz und Sorge schaue ich ihm zu, wie er Stück für Stück die wirklich hohe Rutsche erklimmt.
Und ich merke, wie ich mich innerlich über mich selbst ärgere. Obwohl ich mich wirklich nicht als Helikoptermama bezeichnen würde, ertappe ich mich ständig dabei, dass ich „Achtung“, „Pass auf“ und „Sei vorsichtig“ sage. Und zwar ohne, dass sich jemand wirklich in einer gefährlichen Situation befindet. Dabei habe ich mir fest vorgenommen, meinem Sohn mehr zu vertrauen und vor allem zuzutrauen. Statt „pass auf“ häufiger mal „du schaffst das“ zu sagen. Ihn zu bestärken und zu unterstützen.
Denn sind wir mal ehrlich, wie viele Unfälle lassen sich bei Kindern durch ein „vorsichtig!“ wirklich vermeiden? Nun, ich vermute eher wenige. Aber wenn Kinder selbstständig ein Hindernis überwinden und ein selbst gestecktes Ziel erreichen, gewinnen sie enorm viel. In der Theorie klingt das auch alles super, aber sobald ich mit ihm unterwegs bin, fällt es mir echt schwer, das umzusetzen. Ich frage mich, warum das so ist.
Es könnte daran liegen, dass ich wirklich Angst habe, dass mein Sohn sich irgendwann mal schwer verletzt. Er ist ein wilder Wirbelwind und liebt es auf dem Spielplatz zu rennen, überall hoch zu klettern und zu toben. Für meinen Geschmack oft zu schnell, zu hoch und zu doll. Dabei macht es das eigentlich wirklich gut. Es begeistert und beeindruckt mich, wie schnell er Neues lernt und wie mutig er oft ist. Und bisher ist auch immer alles gut gegangen. Das meiste, spielt sich nur in meinem Kopf ab.
Ich möchte, dass mein Sohn seinen Mut und sein Selbstvertrauen beibehält.
Es gibt eigentlich mehr als genug Gründe, ihm mehr zuzutrauen. Denn ich möchte auf keinen Fall, dass sich meine Angst auf ihn überträgt. Ich möchte, dass er sich seinen Mut und sein Selbstvertrauen beibehält. Fest nehme ich mir vor, wenigstens für heute „Vorsicht“ und „pass auf“ aus meinem Wortschatz zu streichen (es sei denn natürlich, es handelt sich wirklich um eine Gefahr, aber da würde ich vermutlich sofort handeln statt zu reden) und ihn stattdessen mehr zu unterstützen. Das darf doch nicht so schwer sein.
Mittlerweile ist er oben auf der Rutsche angekommen und strahlt über’s ganze Gesicht. „Super gemacht“, rufe ich ihm zu. Er lacht und flitzt oben zur anderen Seite des Klettergerüsts. Ich denke „nicht so schnell da oben Rennen, sonst fällst du runter“, sage aber nichts. Stattdessen atme ich tief durch, google, wie weit entfernt die nächste Kinderklinik ist, und schau ihm weiter zu.
Auf der anderen Seite angekommen, möchte mein Sohn nun die hohe Leiter runter klettern. Meinem Vorsatz folgend lächle ich ihn bestärkend an und erinnere ihn, dass er am besten rückwärts runter klettert. Er schafft es bis fast ganz unten. Auf der vorletzten Sprosse lässt er sich ablenken, tritt ins Leere, fällt die letzte Stufe runter und plumpst auf seinen Popo. Ich helfe ihm hoch, ihn auf und sage fröhlich „Yaaay, fast bis unten geschafft.“ Mein Sohn freut sich ehrlich. „Nochmal!“ ruft er begeistert, befreit sich aus meinen Armen, rennt wieder zur Rutsche und beginnt erneut hochzulaufen. Ich bewundere seinen Optimismus und sein Durchhaltevermögen.
„Oh, ganz schön hoch…dass er sich das traut“, ertönt eine freundliche Stimme neben mir. Ich lächele die Frau an „Ja, er kann das“, antworte ich. Und es fühlt sich gut an, das zu sagen. Innerlich klopfe ich mir kurz auf die Schulter.
Als wir abends vom Spielplatz zurück zu Hause gemütlich alle zusammen Pizza bzw. im Falle des Babys Brei essen, erzählt mein Sohn dem Papa ganz stolz, was er alles auf dem Spielplatz gemacht hat. Ich berichte ebenfalls stolz, dass ich meinen Vorsatz, nicht mehr ständig „pass auf“ und co zu sagen, für den restlichen Tag erfolgreich durchgezogen hab.
Als wir mit dem Essen fertig sind, trägt jeder von uns, das Baby ausgenommen, seinen Teller rüber zur Spülmaschine. Als ich sehe, wie mein Sohn seinen Teller immer schräger hält und sich die Pizza-Reste darauf langsam aber sicher in Bewegung setzen, passiert es: „Pass auf, dein Teller!“ entfährt es mir, ehe ich mich zurückhalten kann. Mist, jetzt habe ich es doch noch gesagt. Mein Freund lacht und neckt mich „Fast hättest du es geschafft…fast“.
An vielen Tagen hätte ich mich jetzt über mich selbst geärgert. Dass ich es nicht geschafft habe, diesen kleinen Vorsatz für einen Tag durchzuziehen. Aber stattdessen strecke ich meinem Freund ganz erwachsen die Zunge raus und denke „so what“, ich versuche es Morgen einfach nochmal. Baby Steps.